freie Lektorin und Autorin
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Manchmal sieht man im Wald an einem dunstigen Herbstmorgen Lichtstrahlen durch die Bäume fallen. Ähnliche Strahlen kann man auch beobachten, wenn Wolken die Sonne abschirmen und ihr Licht nur durch einzelne Lücken fällt. Dieses Phänomen nennt man Crepuscular Rays oder Strahlenbüschel, umgangssprachlich auch Schattenstrahlen.
Man sieht einzelne Lichtstrahlen getrennt durch dunkle „Strahlen“, weil die Wolke oder die Bäume einen Großteil des Lichtes verdecken. Nur durch einzelne Lücken bzw. zwischen den Bäumen kann das Licht sich ausbreiten, die Bereiche dazwischen liegen im Schatten. Man blickt seitwärts auf die Strahlen – um sie sehen zu können, muss Licht aus den Strahlen heraus ins Auge gestreut werden. Licht kann an an Wassertröpfchen oder Aerosolen gestreut werden, weshalb man diese stimmungsvollen Strahlenbüschel im Wald oft an feuchten Herbstmorgen sieht. Diesen Effekt hat man auch bei Lampenlicht im Nebel.
In Abbildung 1 sieht man, dass die Strahlen des Büschels alle aus einem Punkt zu kommen und sich sternförmig auszubreiten scheinen. Noch deutlicher ist es bei bei dieser Wolke über der Ostsee:
Dieses Zusammenlaufen in einem Punkt ist jedoch nur ein perspektivischer Effekt – in Wirklichkeit verlaufen die Strahlen von ihrem Ausgangspunkt (der Sonne in diesem Fall) ausgehend parallel.
Weil Gegenstände mit zunehmender Entfernung jedoch unter immer kleinerem Sehwinkel gesehen werden, erscheint auch der Abstand zwischen zwei Lichtstrahlen mit wachsender Entfernung unter immer kleinerem Sehwinkel. Die Lichtbündel laufen daher scheinbar aufeinander zu. Man kennt den Effekt auch von Schienen: Steht man auf einer Brücke über die Eisenbahn und blickt entlang der Schienen in die Ferne, scheinen auch die Gleise in einem Punkt zu münden.
Dieses Zusammenlaufen ist wie gesagt nur ein perspektivischer Effekt, in Wirklichkeit verlaufen die Strahlen von der Sonne durchs All und durch die Atmosphäre parallel zueinander. Manchmal kann man diesen Weg quer durch die Atmoshäre verfolgen, wenn die Strahlen bis zum gegenüberliegenden Horizont sichtbar sind.
Gegenüber der Sonne laufen die Strahlen dann scheinbar wieder in einem Punkt zusammen – was auf demselben perspektivischen Effekt beruht. Diese Strahlen als „Gegenstück“ zu den Crepuscular Rays nennt man Anticrepuscular Rays. Da das Phänomen in dieser Form nur in der Dämmerung auftritt, spricht man auch von Dämmerungsstrahlen und Gegendämmerungsstrahlen.
Dass die Anticrepuscular Rays (Gegendämmerungsstrahlen) nur bei Sonnenauf- und -untergang zu sehen sind, liegt daran, dass nur dann die Lichtstrahlen über den ganzen Himmel von Horizont zu Horizont verlaufen. Bei höherem Sonnenstand fallen sie auf die Erdoberfläche.
Wem diese Erklärung nicht geheuer scheint, der kann sich noch einmal vorstellen, er stünde auf der Brücke über die Eisenbahn. Sie können nach vorn und hinten schauen und haben in beiden Richtungen den Eindruck, dass sich die Schienen in der Ferne in einem Punkt treffen. Die eine Richtung sind die crepuscular rays, die andere die anticrepuscular rays.
© Wiebke Salzmann, August 2013