freie Lektorin und Autorin
Auf dieser Seite erwarten Sie eiförmige Sonnen und schwebende Halligen.
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Bevor das Sonnenlicht auf die Erdoberfläche und in unsere Augen trifft, muss es die Atmosphäre durchqueren. Wann immer Licht durch Materie hindurchgeht, wird es von ihr beeinflusst – es kann geschwächt oder aus seiner Richtung abgelenkt werden. Zwar gehen wir im Allgemeinen davon aus, dass die Sonne auch tatsächlich dort am Himmel steht, wo wir sie sehen – das muss aber nicht so sein. Luft hat genau wie Wasser einen Brechungsindex. Dieser ist aber nicht über die ganze Atmosphäre konstant – er ändert sich mit der Dichte der Luft. Daraus folgt, dass sich der Brechungsindex mit der Höhe ändert – und zwar wird mit zunehmender Höhe und damit abnehmender Luftdichte der Brechungsindex kleiner, die Luft also optisch dünner.
Nun ist es bei der Luft (meist) nicht so, dass die Lichtstrahlen auf feste Grenzflächen zwischen Schichten hohen und niedrigen Brechungsindexes stoßen, wie dies beim Auftreffen auf eine Wasserfläche der Fall ist. Der Brechungsindex in der Luft ändert sich nicht schlagartig wie an einer solchen Grenzfläche, sondern allmählich. Es ist, als wären sehr viele, sehr dünne Schichten übereinandergestapelt, deren jede einen etwas anderen Brechungsindex hat als die vorhergehende und eine entsprechend kleine Richtungsänderung beim Strahl bewirkt. Das bewirkt eine Krümmung des Lichtstrahles, was beispielsweise dazu führt, dass wir die Sonne noch am Horizont sehen, wenn sie bereits unter diesem verschwunden ist und ein direkt von ihr ausgehender Lichtstrahl nicht mehr in unser Auge fallen könnte.
Kurz nach Sonnenaufgang (beziehungsweise kurz vor Sonnenuntergang), wenn die Sonne nur wenig über dem Horizont steht, ist sie scheinbar zu einem „Ei“ verformt. Das kann man am besten beobachten, wenn sie durch eine dünne Wolkenschicht scheint und ihre Umrisse klar erkennbar sind. Mit zunehmender Höhe über dem Horizont wird die Sonnenscheibe dann immer kreisförmiger. Auch dieser Effekt ist auf die Brechung des Lichtes und den unterschiedlichen Brechungsindex in der Atmosphäre zurückzuführen.
Die noch nicht aufgegangene Sonne ist wie oben beschrieben ja aufgrund der Brechung bereits über dem Horizont zu sehen; sie wird also scheinbar „nach oben“ verschoben. Da der Brechungsindex nach unten größer wird, wird auch dieser Effekt des scheinbaren „Nach-oben-schiebens“ größer, je weiter unten, also je dichter am Horizont die Sonne steht. Das führt dazu, dass der untere Sonnenrand stärker „angehoben“ wird als der obere und die Sonne so „zusammengedrückt“ wird.
Nun können in der Atmosphäre aber noch andere Änderungen des Brechungsindexes auftreten als die Änderung mit der Höhe. Der Brechungsindex ist von der Dichte der Luft abhängig, die wiederum von der Temperatur abhängt. Wärmere Luft hat eine niedrigere Dichte als kalte und demzufolge einen niedrigeren Brechungsindex als kältere Luft.
Gibt es Schichten wärmerer oder kälterer Luft, haben diese also verschiedene Brechungsindizes und beeinflussen den Strahlenweg entsprechend. Das führt zum Phänomen der Luftspiegelungen.
Den Effekt, dass die Straße vor einem nass wirkt, obwohl sie es nicht ist, kennt jeder. Man sieht Spiegelbilder der Landschaft oder des Himmels und das Gehirn interpretiert die spiegelnde Fläche als Wasser, weil spiegelnde Flächen in der Natur nun mal in der Regel Wasserflächen sind. Es handelt sich jedoch um Spiegelungen an Luftschichten, den Luftspiegelungen.
Auf demselben Effekt beruhen die „schwebenden Halligen“, die uns bei einem Ausflug von Husum zur Hallig Hooge fasziniert haben. (Die Bildqualität ist leider nur mäßig.)
Das Watt lag zu diesem Zeitpunkt fast trocken, das Wasser hatte erst begonnen, wieder zu steigen. Die trockene Landfläche des Watts konnte sich in der Sonne (es war Mitte Mai und ein sehr heißer Tag) stark aufheizen, wodurch sich auch die Luftschicht direkt darüber aufheizte. In dieser Schicht ist der Brechungsindex also niedriger als auf Augenhöhe des Beobachters. Strahlen, die von den Halliggebäuden ausgehen, treffen von oben auf diese Luftschicht mit niedrigem Brechungsindex und können bei passendem Winkel an dieser Schicht totalreflektiert werden.
Der Effekt der Totalreflexion tritt auf, weil Strahlen beim Eintritt in ein optisch dünneres Medium vom Lot weggebrochen werden. Ist der Einfallswinkel groß genug, wird der Brechungswinkel so groß, dass die Strahlen wieder in das dichtere Medium zurückgebrochen werden.
Von den Halligen und den darauf befindlichen Gebäuden treffen also nicht nur die direkten Strahlen beim Beobachter ein, sondern auch solche, die an der optisch dünneren (wärmeren) Luftschicht totalreflektiert wurden. Die direkten Strahlen lassen den Beobachter die Halligen ganz normal sehen, wie sonst auch. Die totalreflektierten Strahlen kommen in der „Programmierung“ des Gehirns nicht vor, sie werden wieder geradlinig nach hinten verlängert. Das führt dazu, dass man ein umgekehrtes Spiegelbild unter der echten Hallig sieht. Andererseits können Strahlen, die von den unteren Bereichen der Halligen ausgehen, das Auge des Beobachters aufgrund der Brechung gar nicht erreichen – womit er sie auch nicht sehen kann. Durch die Brechung in der warmen Luftschicht werden sie nach oben abgelenkt, weshalb man nur die oberen Bereiche, also die Warften und Häuser, sieht, diese dafür aber doppelt. Und man erhält den Eindruck, dass diese schweben.
Eine solche Spiegelung an einer am Boden liegenden warmen Luftschicht nennt man eine untere Luftspiegelung.
Zu einer oberen Luftspiegelung kommt es, wenn es in der Atmosphäre so genannte Inversionsschichten gibt. In einer Inversionsschicht kehrt sich die Richtung der Temperaturänderung um – statt mit der Höhe abzunehmen, nimmt die Temperatur zu. Damit liegt über der unten liegenden kalten Luft (mit großem Brechugnsindex) eine Schicht warmer Luft (mit kleinem Brechungsindex). In diesem Fall werden nun also die Strahlen, die von einem Objekt nach oben gehen und normalerweise deshalb nie bei einem auf dem Boden befindlichen Beobachter ankommen würden, nach unten gekrümmt. Wieder verlängert das Gehirn den Strahlenverlauf geradlinig nach hinten und man sieht ein Bild des Objektes oberhalb des realen Objektes. Je nach Krümmung kann dieses Bild aufrecht oder auf dem Kopf stehen.
Dieses Schiff beispielsweise „schleppt“ ein auf dem Kopf stehendes zweites Schiff mit sich herum. (Da wir leider keine Profi-Fotoausrüstung mitgeschleppt haben, hat diese Zufallsaufnahme auf der Ostsee vor der Rostocker Heide nur eine schlechte Qualität.)
© Wiebke Salzmann, November 2008