freie Lektorin und Autorin
Auf dieser Seite erwartet Sie die Sonne als Zeitmesser.
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Eine Sonnenuhr zeigt die Tageszeit anhand eines Schattens an; wobei als Schattengeber meist ein Stab dient, der so genannte Polstab. Der Polstab ist parallel zur Erdachse ausgerichtet – das bedeutet, sein Neigungswinkel zur Erdoberfläche ist abhängig von dem Breitengrad, auf dem sich die Sonnenuhr befindet.
Wandert die Sonne nun von Ost nach West über den Himmel, wandert entsprechend auch der Schatten des Polstabes. Man muss nun also noch die Stundenlinien einzeichnen, also die Linien, auf denen der Schatten des Polstabes zu den einzelnen Stunden zu liegen kommt. Dabei stellt sich schnell die Frage, von welchen Stunden die Rede ist, also von welcher Zeit. Eine Erdumdrehung dauert 24 Stunden. Man wird also zunächst einfach die Zeitspanne einer vollständigen Umdrehung in 24 Einheiten unterteilen, dann hat man eine Einheit pro Stunde – den so genannten äquinoktialen Stunden. Um diese Skala zu kalibrieren, könnte man der Einfachheit halber den Zeitpunkt, zu dem die Sonne genau im Süden steht (wenn sie also den Meridian, der durch den Ort geht, an dem die Sonnenuhr steht, kreuzt), als 12 Uhr mittags definieren, und die anderen Stundenlinien entsprechend einordnen. Auf diese Weise erhält man die Wahre Ortszeit (WOZ).
Im täglichen Leben nützt einem die Ortszeit jedoch nicht so viel. Aus praktischen Gründen ist die Erdkugel in 24 Zeitzonen unterteilt, in denen jeweils dieselbe Zeit gilt. Die Zeitverschiebung zur jeweils nächsten Zone beträgt eine Stunde. Eine solche Zeitzone umfasst 15 Längengrade (denn 360 dividiert durch 24 ergibt 15). Deutschland liegt in der Zeitzone der mitteleuropäischen Zeit (MEZ), die der Ortszeit des 15. Längrades einspricht. Nur exakt am 15. Längengrad entspricht also die Uhrzeit, die wir auf der Armbanduhr ablesen, der Ortszeit (allerdings nicht unbedingt der Wahren, sondern der Mittleren Ortszeit; dazu kommen wir weiter unten). An allen anderen Orten geht eine auf die Weise eingestellte Sonnenuhr vor (im Osten) oder nach (im Westen). Man kann nun natürlich die Stundenlinien entsprechend verschieben, dann zeigt die Sonnenuhr MEZ an. Allerdings zeigt eine solche Sonnenuhr das ganze Jahr über Winterzeit an.
In Abbildung 2 fallen die krummen, orangefarbenen Linien auf. Auf diesen Linien endet der Schatten des Polstabes. Da die Sonne im Winter tiefer steht als im Sommer, ändert sich die Schattenlänge im Jahresverlauf – deshalb gibt es sieben Linien: eine für Mittwinter, eine für Mittsommer, eine für die beiden Tagundnachtgleichen und je eine für einen Tag um den 20. von November/Januar, Oktober/Februar, April/August, Mai/Juli. Außerdem sind die Schatten morgens und abends bei tief stehender Sonne bekanntlich länger als mittags. Deshalb sind diese Linien gekrümmt. Diese gekrümmten Kurven sind Hyperbeln und heißen Datumslinien.
Die Sonnenuhr enthält noch eine rote Linie. Die Strecke zwischen den Schnittpunkten dieser Linie mit den Datumslinien geben die jeweilige Tageslänge an, die Schnittpunkte geben also die Zeit von Sonnenaufgang und Sonnenuntergang an.
Sonnenuhren werden heute nur noch zu Dekorationszwecken benutzt – um die Zeit zu bestimmen, benutzen wir nicht mehr die Sonne, sondern andere periodische Vorgänge, wie Pendel, Schwingquarze oder in Atomuhren die Frequenzen elektromagnetischer Wellen. Vergleicht man die Zeitanzeige einer Pendeluhr mit der einer Sonnenuhr, stellt man fest, dass die Tageslänge im Jahresverlauf schwankt – und gemeint ist mit „Tageslänge“ jetzt nicht die Zeitdauer der Helligkeit, sondern eine komplette Erddrehung. Entsprechend geht eine Sonnenuhr gegenüber einer mechanischen oder elektronischen Uhr vor beziehungsweise nach. Da Atomuhren recht zuverlässige Zeitgeber sind, kann man guten Gewissens behaupten, die Sonnenuhr ist diejenige, die falsch geht. Wie kommt das zustande?
Dazu müssen wir uns zunächst mit der Erdbahn beschäftigen, die bei dem Ganzen auch eine Rolle spielt.
Für die Drehung um sich selbst benötigt die Erde 23 Stunden und 56 Minuten. Wenn also ein Punkt auf der Erdoberfläche während einer kompletten Drehung um 360° um die Erde gewandert ist, ist er mit der Erde gleichzeitig auch ein Stück auf der Erdbahn gewandert, und hat deshalb trotz der 360°-Umdrehung nicht wieder dieselbe Position gegenüber der Sonne wie 23 Stunden 56 Minuten vorher. Dazu ist ein kleines Bisschen mehr Erddrehung erforderlich, nämlich ein knappes Grad – mit anderen Worten: ein kleines Bisschen mehr Zeit, nämlich im Mittel 4 Minuten. Das ergibt dann in der Summe bezogen auf die Sonne unsere bekannten 24 Stunden Tageslänge.
Dass die eigentliche Umdrehung der Erde nur 23 Stunden und 56 Minuten dauert, sieht man bei der Beobachtung des Fixsternhimmels. Sucht man sich einen bestimmten Stern aus – der über einem leicht auszumachenden Bezugspunkt stehen sollte, wie einem Baum oder einer Laterne – und beobachtet dessen Stand zur selben Uhrzeit in einigen aufeinanderfolgenden Nächten, wird man feststellen, dass er den Bezugspunkt jede Nacht etwa 4 Minuten später erreicht.
Die Erdbahn ist jedoch kein Kreis, sondern eine Ellipse, in deren einem Brennpunkt die Sonne steht. Befindet sich die Erde auf dem sonnennahen Teil der Ellipse, wandert sie schneller als auf dem sonnenfernen Teil. (Für diejenigen, die es genauer wissen wollen – diesen Zusammenhang beschreiben die keplerschen Gesetze.) Den sonnenfernsten Punkt (Aphel genannt) erreicht die Erde Anfang Juli, den sonnennächsten (Perihel) Anfang Januar. Zum Verständnis des folgenden ist es sinnvoll, das moderne Weltbild zu vergessen und wieder uns, die Erde und die Sonnenuhr in den Mittelpunkt zu stellen und die Sonne um die Erde herumwandern zu lassen. Denn das ist das, was die Sonnenuhr aus ihrer Position „sieht“.
Auch diese Sonnenbahn ist kein Kreis, sondern eine Ellipse; im Brennpunkt sitzt nun die Erde. Und auch hier gilt, dass die Wandergeschwindigkeit der Sonne auf dem erdnahen Teil höher ist als auf dem erdfernen Teil der Bahn. Die Sonne auf der Ellipsenbahn nennen wir nun Wahre Sonne, da sie die wahren Verhältnisse widerspiegelt.
Wir hatten oben festgestellt, dass diese Wahre Sonne aber offenbar verglichen mit mechanischen Uhren „falsch geht“ und keine regelmäßen 24-Stunden-Tage produziert. Um das zu erreichen, denken wir uns eine Mittlere Sonne, also eine, die diejenige Zeit erzeugt, die mechanische oder Atomuhren anzeigen. (Das ist die so genannte Mittlere Ortszeit (MOZ) – jeder Tag in MOZ ist genau 24 Stunden lang.) Dazu muss die Mittlere Sonne auf einer Kreisbahn mit gleichförmiger Geschwindigkeit um die Erde laufen, wobei die Erdachse auch noch senkrecht auf der Ekliptik stehen muss. Zur Erdachse kommen wir weiter unten; sehen wir uns zunächst den Einfluss der Ellipsenform der Bahn an.
In Abbildung 4 werden die Ellipsenbahn der Wahren Sonne und die Kreisbahn der Mittleren Sonne verglichen. Man versteht die Zusammenhänge am besten, wenn man so tut, als gäbe es beide Sonnen und man könnte ihren Lauf direkt vergleichen. (Die Angaben von Jahreszeiten zur Orientierung beziehen sich auf die Nordhalbkugel.)
Wenn im Winter und im Frühling die Wandergeschwindigkeit der Sonne abnimmt, geht die Sonnenuhr also nach (verglichen mit einer mechanischen Uhr); nimmt die Wandergeschwindigkeit im Sommer und im Herbst wieder zu, geht sie vor. Dieser Zyklus hat eine Periode von einem Jahr, mit einem Minimum im April und einem Maximum im Oktober.
Die Schrägstellung der Erdachse haben wir bei unseren bisherigen Überlegungen nicht berücksichtigt. Aber auch sie hat Einfluss auf den Gang der Sonnenuhr. Um das zu verstehen, lassen wir wieder die Sonne um die Erde laufen – diesmal sollen sowohl Mittlere als auch Wahre Sonne auf Kreisbahnen mit gleichbleibender Geschwindigkeit laufen, sonst wird es zu kompliziert. Für einen Beobachter auf einer solchen „Zentralerde“ steht die Erdachse senkrecht. Das bedeutet im Gegenzug, dass die Bahn der Wahren Sonne gegen den Äquator gekippt ist. Wir nehmen nun aber nicht den Erdäquator, sondern den Himmelsäquator, die allerdings beide in einer Ebene liegen. Auf dem Himmelsäquator läuft die Mittlere Sonne, denn für sie steht die Erdachse ja senkrecht auf der Ekliptik. Die Wahre Sonnenbahn schneidet den Himmelsäquator im Frühlings- und im Herbstpunkt.
Der Effekt aufgrund der Schiefstellung der Erdachse und damit der Sonnenbahn hat eine halbjährige Periode, mit Maxima in Mai und November und Minima in Februar und August. (Maximum bedeutet, dass die Wahre Sonne vorgeht.)
Um nun die Abweichungen zwischen der Wahren Ortszeit – die durch die Wahre Sonne erzeugt wird – und der durch die Mittlere Sonne erzeugten Mittleren Ortszeit zu erhalten, muss man beide Effekte addieren – denjenigen aufgrund der Ellipsenform der Bahn und denjenigen aufgrund der Schrägstellung der Erdachse. Man erhält eine Kurve mit zwei Maxima, von denen das kleinere im Mai, das größere im November liegt, und zwei Minima, von denen das kleinere im Juli, das größere im Februar liegt. Anfang November geht die Wahre Sonne also mehr als eine Viertelstunde vor, Mitte Februar geht sie fast eine Viertelstunde nach. An vier Tagen im Jahr, den Nulldurchgängen der Kurve, geht die Sonnenuhr auch ohne Korrektur richtig – dann stimmen Mittlere und Wahre Ortszeit überein.
Um nun eine richtig gehende Sonnenuhr zu bauen – also eine, die die Mittlere Ortszeit anzeigt –, muss man beide Effekte entsprechend korrigieren – was mein Schwiegervater verständlicherweise nicht getan hat, das ist nämlich recht aufwendig. Eine nicht korrigierte Sonnenuhr zeigt die Wahre Ortszeit an.
An diesen Abweichungen der Wahren Sonnenzeit von der Mittleren Sonnenzeit liegt es übrigens auch, dass zwar zur Wintersonnenwende der kürzeste Tag ist, dieser jedoch nicht mit dem frühesten Sonnenuntergang oder dem spätesten Sonnenaufgang zusammenfällt (ersterer ist bereits um den 10. Dezember, letzterer um den 5. Januar).
© Wiebke Salzmann, Juli 2009